Mein Freund, ein Kapitän
- Rainer Harter
- 7. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Ich habe einen Freund, der zusammen mit seiner Frau neben seinem Vollzeitjob eine freikirchliche Gemeinde leitet. Diesen beiden Menschen gegenüber empfinde ich Hochachtung, Zuneigung und Dank.
Ihre Gemeinde ist klein und für die Augen der meisten unscheinbar. Meiner Beobachtung nach gibt es dort auch nicht viele Menschen, die in der Lage wären, als Mitarbeitende verantwortungsvolle Leitungsaufgaben zu übernehmen.
Ich begegne dort keinen geistlichen Riesen im Sinne von Glaubenshelden, denen im Leben alles gelingt, weil sie die entsprechenden Glaubensmechanismen kennen und diese richtig anwenden würden.
Vielmehr erinnert mich die Gemeinde meines Freundes an eine kleine Herde von Schafen, die von den Stürmen des Lebens gezeichnet ist. Doch gerade in dieser kleinen Gruppe von Gläubigen haben sie Heimat gefunden. Hier rücken sie zusammen, geben sich gegenseitig Halt und schenken einander Wärme und Schutz.
Aus der Sicht von Gemeindestrategen und Visionären mag die Gemeinde meines Freundes wie ein wenig erfolgreiches Modell erscheinen. Und realistisch betrachtet, könnte manches dort sicher besser laufen.
Und doch berührt mich kaum eine Gemeinde so sehr wie diese kleine Versammlung von Menschen, die sich um Jesus – ihren Hirten, Freund und Erlöser – scharen und sich an ihm festhalten.
Auch wenn das „Kirchenschiff“ meines Freundes eher einer der gelben Rettungsinseln aus Katastrophenfilmen gleicht als einem Luxuskreuzfahrtschiff – und auch wenn es immer wieder einmal zwischen den Wellenbergen von Lebensnöten und Herausforderungen schwer ins Taumeln gerät –, gelingt es meinem Freund doch seit vielen Jahren, dieses Schifflein auf Kurs zu halten und das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: den Hafen der Liebe Gottes, in den wir alle eingeladen sind einzulaufen.
Während manches geistliche Speedboot, manches christliche Mega-Kreuzfahrtschiff und manche stolz-fromme Segelyacht – die von vielen bewundert und als Vorbild für die eigene Gemeinde herangezogen wurden – bereits gesunken, gestrandet oder verschwunden ist, hält mein Freund unbeirrt Kurs.
Auch wenn er in den vergangenen Jahren aus den verschiedensten Gründen so manches Loch in seiner Rettungsinsel stopfen musste, ist sie doch aus jedem Wellental wieder aufgetaucht.
Deshalb habe ich großen Respekt und tiefe Achtung vor meinem Freund, der vielleicht nicht auf christlichen Bühnen, aber treu seinen Mann steht, um seiner kleinen Herde eine Heimat zu geben.
Vermutlich ähneln viele Gemeinden landauf, landab der kleinen Gemeinde meines Freundes. Vermutlich gibt es viele Pastoren, die in Teil- oder Vollzeit einem Beruf nachgehen und „nebenbei“ denen als Hirten dienen, die Jesus an sein Herz ziehen möchte: die Armen, Hoffnungslosen, Abgelehnten, Verlassenen und die „Loser“ dieser Welt.
Mein Freund und viele andere wie er – deren erstes Ziel nicht der Glanz einer Megagemeinde oder der persönliche Erfolg ist – stehen treu in der Realität dessen, was der Apostel Paulus in seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth beschrieben hat:
„Denn seht eure Berufung, Brüder: Da sind nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Edle, sondern das Törichte der Welt hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und das Schwache der Welt hat Gott erwählt, damit er das Starke zuschanden mache. Und das Unedle der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt – das, was nicht ist –, damit er das, was ist, zunichte mache, damit sich kein Mensch vor Gott rühme.“
1. Korinther 1,26–29
Vieles von dem, was Pastoren kleiner Gemeinden leisten und auch durchmachen müssen, kenne ich nicht aus eigener Erfahrung – denn ich bin kein Pastor. Wahrscheinlich ist es mehr, als ich vermuten kann.
Doch das, was ich weiß und bisher beobachten durfte, lässt mich in diesem Moment innerlich aufstehen und denen applaudieren, die treu ihre jeweilige kleine Herde hüten, lehren und beschützen.
Ich will euch danken – ihr gehört zu meinen Vorbildern.
Ich will euch anfeuern und euch den Respekt zollen, der euch gebührt.
Ich will euch bewusster wahrnehmen und von eurer Demut lernen.
Alles Liebe
Rainer
PS: Mit meinen Worten will ich keineswegs vermitteln, dass große Gemeinden mit viel Öffentlichkeitswirkung per se infrage zu stellen wären. Aber ich möchte mit diesem Text diejenigen feiern, die aus meiner Sicht zu wenig Anerkennung bekommen.
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