Accountability – Warum geistliche Leiterschaft Rechenschaft braucht
- Rainer Harter

- 13. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

In den letzten Jahren ist der Begriff Accountability in christlichen Leiterkreisen – vor allem in den USA – immer häufiger zu hören. Grund dafür sind unter anderem Skandale um Machtmissbrauch, sexuelle Verfehlungen oder finanzielle Intransparenz in großen Kirchen und Ministries. Was genau meint dieser Begriff, und was hat das mit uns zu tun? Ich glaube: viel.
Was Accountability bedeutet
Das englische Wort Accountability lässt sich mit „Verantwortlichkeit“ oder „Rechenschaft“ übersetzen. Gemeint ist die bewusste Entscheidung eines Leiters oder einer Leiterin, das eigene Leben transparent zu machen – gegenüber einem oder mehreren vertrauenswürdigen Menschen. Es geht darum, sich regelmäßig hinterfragen zu lassen - in Bezug auf Charakter, Motive, Lebensstil, Beziehungen und das eigene geistliche Leben.
Man stellt sich diesen Fragen aber nicht, um kontrolliert zu werden, sondern um im Licht zu bleiben - soll heißen: um nicht in die Gefahr zu kommen, ein Doppelleben zu führen.
Das nämlich kann geschehen, wenn man sich als Leiter beispielsweise dafür schämt, dass man sündigt und deshalb versucht, nach außen heilig zu wirken. Oder weil man mit wachsender Bekanntheit Stolz auf die vermeintlich eigenen Leistungen entwickelt, dies aber zu verbergen versucht. Oder weil man in Wirklichkeit auf andere herabsieht, dabei aber so tut, als ob man sie schätzen würde. Es gibt zahlreiche Gründe, die zu einem Doppelleben führen können. Und das sind alles gute Gründe, seinen Weg nicht alleine zu gehen, sondern transparent vor und mit anderen zu sein, die solche Versuchungen selbst kennen.
Gerade dort, wo Menschen viel Einfluss, Sichtbarkeit oder Verantwortung haben, wächst auch die Versuchung, sich selbst zu überschätzen oder blinde Flecken zu übersehen. Accountability schafft Schutzräume, in denen Wahrheit, Demut und gesundes geistliches Wachstum möglich bleiben.
Auch wenn das Wort Accountability in der Bibel nicht vorkommt, ist das Prinzip zutiefst biblisch. Schon im Alten Testament lesen wir davon, wie Gott Menschen berief, Könige oder Propheten zu ermahnen, wenn sie vom Weg abkamen. Im Neuen Testament ruft Paulus die Ältesten dazu auf, „auf sich selbst und auf die ganze Herde Acht zu haben“ (Apg 20,28).
Als Christen gehören wir zu einer weltweiten Gemeinschaft. Gemeinschaft aber bedeutet immer auch eine gegenseitige Verantwortung, die wir füreinander tragen müssen:
„Einer trage des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ (Galater 6,2)
„Ermahnt einander täglich, damit keiner verstockt wird durch den Betrug der Sünde.“ (Hebräer 3,13)
Auch Jesus lebte nicht in Isolation. Er zog sich zwar immer wieder alleine zum Gebet zurück, doch er teilte sein Leben mit anderen. Seine Jünger sahen seine Freude, seine Müdigkeit, seine Tränen. Er teilte sogar seine Angst mit ihnen, als sie ihn im Garten Gethsemane bedrängte. Transparenz war für ihn kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck seiner Menschlichkeit und seines Vertrauens in seine Gemeinschaft.
In einer Welt, die Leistung, Image und Selbstoptimierung betont, wächst der Druck auf Leiter enorm. Viele fühlen sich innerlich einsam oder haben niemanden, dem sie ehrlich von Versuchungen, Zweifeln oder Fehlern erzählen könnten. An der Stelle sind uns die US-Amerikaner voraus. In den USA gehören Accountability Groups oder Mentoringbeziehungen vielerorts selbstverständlich zum Leben geistlicher Leiter.
In Deutschland ist das noch die Ausnahme. Hier gilt vieles als „Privatsache“, und die Angst vor Kontrolle oder Gesichtsverlust ist groß. Ich kann nur hoffen, dass wir den Wert von Accountability nicht erst dann entdecken, wenn wir die Gemeinde in den USA in ihren Skandalen eingeholt haben. Ich glaube, wir Leiter sind jetzt gerufen und im Blick auf unsere Verantwortung sogar dazu verpflichtet, "aufeinander achtzuhaben" (Hebr.10,24). Denn wer Rechenschaft ablegt, schützt nicht nur sich selbst, sondern auch die Menschen, die ihm anvertraut sind.
Accountability bedeutet nicht, alles öffentlich zu machen, sondern Menschen gezielt in das eigene Leben hineinzulassen. Menschen, die ehrlich fragen dürfen:
Wie geht es deinem Herzen wirklich?
Wo suchst du Trost außerhalb von Gott?
Wie gehst du mit Macht, Geld oder Sexualität um?
Führst du ein Leben des Gebets – oder funktionierst du nur noch?
Solche Gespräche bewahren, reinigen und erden. Sie halten geistliche Leiter in der Wahrheit, bevor etwas entgleist.
Leiterschaft braucht geistliche und persönliche Begleitung. In Mentoringnetzwerken, geistlicher Supervision oder Freundeskreisen unter Leitern darf erlebt und verstanden werden, dass Rechenschaft kein Misstrauen bedeutet, sondern eine unterstützende Kultur der Liebe und des Vertrauens darstellt.
Ich sehe Accountability als ein geistliches Prinzip an - schon seit Jahrzehnten.
Das eigene Leben vor Gott und vor Menschen, die uns helfen, echt zu bleiben, transparent zu machen ist ein Segen. Es entzieht verborgener Scham den Boden, hilft Sünde zu überwinden und schenkt Schutz in Zeiten von geistlichen oder menschlichen Angriffen.
Gerade in einer Zeit, in der Vertrauen in Leiterschaft oft erschüttert wurde, kann eine Kultur gegenseitiger Rechenschaft dazu beitragen, dass geistliche Leiter glaubwürdig, gesund und fruchtbar bleiben. Echte geistliche Leiterschaft wächst nicht in Isolation, sondern in einer positiven Umgebung der freiwilligen Rechenschaft.
Alles Liebe
Rainer



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