Die Spuren unseres Lebens
- Rainer Harter
- 26. Mai
- 4 Min. Lesezeit

In den letzten Jahren dominierte die Debatte um unseren „CO₂-Abdruck“ so manche öffentlichen Diskussionen. Diese Auseinandersetzung ist unbestritten relevant, dennoch erscheint mir dieses Thema nur eine Facette unseres Erbes zu beleuchten.
Und: es gibt sogar wichtigere Fragen zu den Spuren, die wir hinterlassen.
Die Bedeutung kultureller, moralischer und sozialer Fußabdrücke wird beispielsweise leicht übersehen. Der Wert einer gelebten Gemeinschaftszugehörigkeit, guter zwischenmenschlicher Beziehungen steht weit über dem reinen CO₂-Konto und macht einen existenziellen Beitrag zur Zukunft aus. Schließlich sind es nicht nur unsere Emissionen, die unsere Nachwelt prägen, sondern vor allem die Werte, Institutionen und Geschichten, die wir weitertragen und hinterlassen.
Für mich gehört dazu vor allem die werteorientierte Erziehung unserer Kinder, denn bereits im Familienalltag werden durch gezielte Vermittlung von biblischen Werten wie Empathie, Vergebungsbereitschaft und Verantwortungsbewusstsein die Grundlagen für eine positive Lebensführung gelegt.
Auch das ehrenamtliche Engagement gehört dazu, denn dadurch stärken wir nicht nur gemeinnützige Projekte, sondern fördern auch soziale Kompetenzen und das Zusammengehörigkeitsgefühl in unserer Gesellschaft. Die Beteiligung am Gemeinwohl wiederum schafft Räume für Mitbestimmung und trägt zur positiven Entwicklung unserer Lebensräume bei.
Menschen, die in ihrer frühen Sozialisation nur wenig darüber erfahren haben, wie wertvoll jedes einzelne Leben ist und dass unsere Existenz nicht nur um das eigene Selbst kreist, zeigen häufig Schwierigkeiten, sich als verantwortungsbewusster Teil einer Gemeinschaft zu begreifen. Empirische Studien belegen, dass ein Mangel an prosozialer Förderung und kultureller Einbettung bereits im Kindesalter das Entstehen von empathischer Verbundenheit und gemeinschaftlichem Zugehörigkeitsgefühl hemmt.
Auch wer nie darüber nachdenkt, welche Spuren er im Leben hinterlässt, hinterlässt sie dennoch. Manchmal sind sie klar erkennbar, manchmal unscheinbar – aber immer vorhanden. Entscheidend ist aber nicht ihr Vorhandensein, sondern die Richtung, in die sie weisen, und wohin sie diejenigen führen, die bereit sind, ihnen zu folgen.
Ich frage mich selbst, welche Spuren ich hinterlasse – und ob sie es wert sind, ihnen zu folgen, oder ob sie in eine Sackgasse führen. Um diese Fragen zu beantworten, benötige ich einen inneren Wertekompass, der als persönlicher Richtungsgeber fungiert und mein Handeln an dem ausrichtet, was ich als gut und richtig erachte. Psychologisch betrachtet erschließt sich dieser Kompass durch das bewusste Reflektieren und Priorisieren meiner Grundüberzeugungen. Werte wie Ehrlichkeit, Mitgefühl oder Gerechtigkeit bilden dabei die Wegmarken, an denen ich das Gewicht meiner Entscheidungen messen kann.
Aus christlicher Perspektive sind das jene Spuren, die der Liebe Gottes und beispielsweise dem Gebot der Nächstenliebe folgen. Sie verbinden die persönliche Integrität mit einer überindividuellen Berufung und markieren dann Ziele, die Ewigkeitswerte und Gemeinschaft gleichermaßen im Blick haben.
Unsere westliche Kultur ist nach wie vor und unzweifelhaft vom Christentum geprägt: Viele unserer grundlegenden Institutionen und Werte gehen auf Ideen zurück, die sich aus der Nachfolge Jesu ergeben haben. So entwickelte sich das moderne Rechtswesen maßgeblich aus dem Kanonischen Recht der Kirche. Auch unser Bildungssystem verdankt seine Ursprünge weitgehend kirchlichen Initiativen: Im Hochmittelalter entstanden die ersten Universitäten aus Klosterschulen und Domschulen, und als der Dritte Laterankonzil kostenlose Schulbildung verfügte, wurde der Grundstein für öffentliche Schulen gelegt.
Selbst unser Sozialwesen wurzelt in christlichen Fürsorgekonzepten: Bereits in der frühen Kirche sorgte man durch Armenfürsorge und Hospitalgründungen dafür, dass Bedürftige versorgt wurden.
Stellen wir uns einmal vor, wie unser Justiz- und Bildungssystem sowie das soziale Netz ohne diese richtungsweisenden Spuren aussähen: Ohne das Prinzip der Nächstenliebe stünde die Idee eines solidarischen Gemeinwesens auf wackeligen Beinen, und ohne kirchliche Gelehrsamkeit gäbe es wohl keine Tradition universaler Bildungszugänge. Die Philosophie und Ethik, die unser westliches Bewusstsein prägen, wären ohne die christliche Betonung auf Menschenwürde und moralische Verantwortung kaum in dieser Form denkbar. Kurz: Die unsichtbaren Fußspuren Jesu und seiner Nachfolger ziehen sich wie ein roter Faden durch Geschichte und Gegenwart. Das ist ein Erbe, das wir heute tagtäglich erfahren und weitertragen, sogar diejenigen, die sich Atheisten nennen. Eigentlich könnte man sie „christliche Atheisten“ nennen.
Im Moment erleben wir in Deutschland eine Phase, in der viele von Jesu Spuren abweichen und eigene Pfade einschlagen. Doch bei näherem Hinschauen führen diese neuen Wege nicht zu Gemeinschaft, sondern in Isolation, Trennung und Abgrenzung. Einen nachhaltigen, gesellschaftlich positiven Trend kann ich darin bisher nicht erkennen. Deshalb betrachte ich die aktuelle Ablehnung christlicher Wegzeichen mit einer gewissen inneren Gelassenheit:
Die vergangenen zwei Jahrtausende haben eindrücklich gezeigt, dass keine anderen Überzeugungen zu so vielen konstruktiven Errungenschaften geführt haben wie der Weg Jesu. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass immer mehr Menschen dies wieder erkennen und mit Freude den Spuren folgen werden, die zum Leben führen. Dort wird das eigene Sein in eine wahre Geschichte eingebettet, die Ursprung, Sinn, Hoffnung und Zukunft schenkt.
Doch zurück zur ursprünglichen Frage: Welche Spuren hinterlasse ich selbst, im Berufsalltag, im Gespräch mit Freunden oder im vertrauten Miteinander?
Der Apostel Paulus ruft uns Christen dazu auf, Einfluss bewusst zu gestalten, wenn er schreibt: „Folgt meinem Beispiel, wie ich dem Beispiel Christi folge“ (1. Kor 11,1). und betont damit, dass unser Leben so gelebt werden soll, dass es andere direkt zu Jesus führt. Auf diese Weise prägen wir nicht nur unsere persönliche Geschichte, sondern schreiben an einer größeren Erzählung mit, deren Ziel die Wahrheit, Liebe und Hoffnung ist, die Jesus selbst verkörpert hat.
Das will ich tun.
Deshalb möchte ich meine Schritte bewusst setzen und mich fragen, ob meine Gesten und Worte einen Raum schaffen, in dem Gottes Liebe erkennbar wird, oder ob sie sich im Schatten meiner eigenen Unsicherheiten oder meines Stolzes verlieren.
Wir hinterlassen alle Spuren, denen andere möglicherweise folgen. Das heißt: Wer sich an uns orientiert – sei es bewusst oder unbewusst – soll nicht in die Irre geleitet werden. Das vermeiden wir je besser, desto konkreter wir selbst Jesu Spuren folgen.
Ich wünsche dir und mir eine Woche, in der wir unsere Schritte sehr bewusst setzen und Spuren hinterlassen, die zum Leben und zur Wahrheit führen.
Alles Liebe. Rainer
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