Dienst-Fallen
- Rainer Harter
- 30. Okt. 2024
- 4 Min. Lesezeit
23.Oktober 2024

Vergangene Woche habe ich in meinem Blog über die Notwendigkeit einiger Verhaltensweisen und Gewohnheiten geschrieben, die Leiter vor Vereinsamung bewahren können und die eine große Hilfe sind, um als Leiter vertrauenswürdig zu sein.
Wenn diese Vorgehensmodelle unberücksichtigt bleiben, nimmt die Gefahr, als Verantwortungsträger ungesunde Verhaltensmuster sich selbst, anderen Menschen und Gott gegenüber zu entwickeln, zu.
Vielen Menschen ist der Begriff „Psychohygiene“ mittlerweile geläufig. Er bezieht sich auf Maßnahmen und Praktiken, die dazu dienen, die eigene psychische Gesundheit und das Wohlbefinden zu fördern und zu erhalten. Dazu gehören verschiedene Strategien wie Selbstfürsorge, Stressbewältigungstechniken oder bewusste Entspannung.
Ich glaube, dass es auch so etwas wie eine Gewohnheit der „geistlichen Hygiene“ geben muss. Sie könnte Praktiken wie das Erkennen religiösen Leistungsdrucks, Menschenfurcht oder Narzissmus beinhalten. Dazu braucht es jeweils ein oder mehrere Gegenüber, mit denen man als Leiter in einem geschützten Rahmen ehrlich reflektieren kann. So können Leiter die Bedeutung des Selbstmitgefühls (nicht: Selbstmitleid), der Selbstakzeptanz, der Selbstleitung und des gesunden Umgangs mit den eigenen Grenzen erlernen.
Dieses Training ist absolut gewinnbringend und schafft Raum für den Trainee, der zu sein, der er ist- nicht weniger, aber auch nicht mehr. Es befreit vom vielen Müssen und Sollen und öffnet die Tür zum Lachen auch über sich selbst und seine Macken. Ich halte es für einen bedeutenden Teil dessen, was die Bibel „Heiligung“ nennt.
Was für Leiter gilt, hat genauso seine Gültigkeit für Dienste oder Gemeinden insgesamt. Auch sie müssen sich um ihre geistliche Hygiene kümmern und sich beispielsweise fragen, ob biblische Prinzipien ausreichend berücksichtigt und gestärkt werden, oder ob man mehr dem Vorbild eines anderen, erfolgreicheren Werkes versucht zu folgen.
Wenn Leiter nicht lernen, in biblischer Weise für sich selbst zu sorgen und sich selbst zu führen, steigt die Gefahr, dass sich toxische Strukturen etablieren, die viele Menschen verletzen können, die Leiter eingeschlossen.
Einige der aus meiner Sicht hilfreichen Bestandteile der geistlichen Hygiene einer Gemeinschaft, möchte ich kurz beschreiben. Das tue ich im Wissen darum, dass ich in der Vergangenheit selbst im ein oder anderen Bereich versagt habe.
1. Elitäres Denken
Wenn beispielsweise eine Gruppierung auf der Basis von prophetischen Worten gegründet wurde, entsteht in der Regel eine starke Berufungsüberzeugung. Sie kann etwas Wunderbares auslösen, aber auch völlig in die Irre führen. Von Beginn an müssen die Leiter deshalb deutlich machen: Ja, wir haben eine spezielle Berufung und Aufgabe, aber wir sind nur ein Teil des gesamten Leibes Jesu und somit nicht Gottes neue Task Force, mit der er nun endlich in Gang bringen wird, was er bisher mit anderen nicht tun konnte.
Elitäres Denken kann viel Begeisterung und Kraft freisetzen, aber es ist weder die Begeisterung durch den Heiligen Geist, noch seine Kraft. Gruppierungen mit einem elitären Denken implodieren früher oder später.
Reflexion: Fragen wir uns in unseren Gemeinschaften, ob wir uns vielleicht nicht doch besser als „die anderen“ ansehen?
2. Vision über alles
Eine klare Vision motiviert Menschen, sich Diensten oder Gemeinden anzuschließen.
Um jedoch eine gesunde Dynamik und Kultur zu entwickeln, müssen die Leiter immer wieder vermitteln, dass sich nicht alles und ausschließlich um die spezifische Vision dreht. Es gilt vor allem anderen, Sorge dafür zu tragen, die anvertrauten Menschen in eine tiefere Beziehung zu Jesus Jüngerschaft) zu führen und nicht an die Vision oder uns selbst zu binden.
Zweitens muss die Vision mit der Bibel in Übereinstimmung stehen. Tut sie das nicht, ist schnell auch ein Weg für unbiblische Ausprägungen des Dienstes / der Gemeinde beschritten. „Da Gott etwas Neues tut, muss man sich nicht wundern, wenn die Umsetzung ebenfalls neu aussieht“ - wird dann argumentiert.
Solche Gruppierungen enden in sektenhaften Strukturen und der Isolation.
Reflexion: Fragen wir uns, ob wir in der Gefahr stehen, das Wohl von Mitarbeitern unserer Vision zu opfern? Fragen wir uns, ob unsere Vision eine wirklich biblische Verankerung hat?
3. Fehlender theologischer Diskurs
Wo kein theologischer Austausch stattfindet, weil man kein Gegenüber möchte, das die theologischen Überzeugungen und Praktiken eines Dienstes / einer Gemeinde hinterfragen oder kritisieren darf, besteht ebenfalls die Gefahr, dass sich sektiererische Strukturen entwickeln.
Hat nur eine Gruppe „recht“, heißt das immer auch, dass alle anderen falsch liegen. Was genau „richtig“ ist, wird dabei von den jeweiligen Leitern und deren Sichtweisen festgelegt und als gültig dargestellt.
Solche Gruppierungen haben unter dem Deckmantel der Freude darüber, zu den „Richtigen“ zu gehören oftmals einen richtenden Geist und eine ungesunde Abhängigkeit von der Gunst der Leitungsfigur.
Reflexion: Bin ich als Leiter bereit, meine theologische Sicht anderen Leitern darzulegen und sie um ihre hilfreiche Einschätzung zu bitten? Wäre ich bereit, ihre mögliche anzunehmen?
4. Fehlende Eingebundenheit in den lokalen Leib Christi
Es gibt Dienste und Gemeinden, die in der Öffentlichkeit eine laute Stimme hören lassen und von Außen als bedeutend wahrgenommen werden, die jedoch nicht eingebunden sind in den lokalen Leib Jesu. Sie vertreten die Auffassung, dass ihre besondere Berufung und Vision so groß und wichtig sind, dass sie die Vernetzung mit den anderen Werken der Stadt nicht brauchen. Oftmals fehlt in solchen Fällen auch eine Identifikation mit der eigenen Stadt und es geht mehr darum, dem eigenen Wachstum und Einfluss zu dienen, als den Menschen vor Ort.
Solche Gruppierungen übersehen eines der wichtigsten Gebete Jesu, nämlich das aus Johannes 17, in dem er vor dem Vater geradezu um Einheit der Christen ringt, wissend, dass dies der Schlüssel dafür ist, dass Menschen Christus als Retter erkennen können.
Reflexion: Versteht sich meine Gemeinde / mein Dienst als Teil des lokalen Leibes Jesu? Drückt sich dies auch ganz praktisch aus, in dem ich in der Stärke „meines“ Werkes mit anderen zusammenarbeite und ihnen diene?
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Als Gott Ende des Jahres 1999 den Impuls gab, der zur Gründung des Freiburger Gebetshauses geführt hat, gehörte zu seinen Worten auch die Aussage: „Das Gebetshaus soll einen Teil zur Heilung der Kirche beitragen“. Darum bemühe ich mich mit dem team vom Gebetshaus seit Jahren. Das tue ich im Wissen darüber, zur Kirche zu gehören, die augenblicklich - auch selbstverschuldet - schwach und gebrechlich aussieht. Ich glaube jedoch daran, dass sie noch immer das Potential, ja sogar die Berufung hat, so schön zu werden, dass unzählige Menschen erkennen können, dass nichts so herrlich und begehrenswert ist, wie der Gott, dem sie gehört.
Alles Liebe. Rainer
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