Geduld....
- Rainer Harter
- 19. Mai
- 3 Min. Lesezeit

Manchmal habe ich das Gefühl, auf zwei unterschiedlichen Zeitsträngen zu leben. Einerseits vergehen die Jahre scheinbar immer schneller. Andererseits entwickeln sich genau die Veränderungen, nach denen ich mich sehne und für die ich bete und arbeite, gefühlt nur im Schneckentempo.
Ich weiß: Unsere persönliche Zeitwahrnehmung ist kein objektives Abbild der Uhrzeit. Sie wird von verschiedenen psychologischen Faktoren beeinflusst. Positive Emotionen etwa lassen die Stunden wie im Flug vergehen, während Langeweile oder Schmerz sie dehnen.
Mit zunehmendem Alter scheint die Zeit schneller zu vergehen – nicht, weil die Uhr schneller läuft, sondern weil unser Gehirn weniger neue Erlebnisse speichert. Es gewöhnt sich an Routinen. Und so erscheinen uns die Jahre im Rückblick kürzer und weniger prägnant. Ich erinnere mich noch daran, wie lang mir als Kind ein Jahr vorgekommen ist. Heute würde ich manchmal gern den Bremshebel finden, um die wilde Fahrt durchs Jahr etwas zu verlangsamen.
Ich warte voller Sehnsucht auf einige Durchbrüche. Ich glaube und bete für tiefgreifende Veränderungen – im eigenen Leben und in meinem Umfeld. Doch manches geht einfach sehr langsam voran. Das ist für mich nicht immer leicht auszuhalten, aber so, wie man manchmal stundenlang im Wartezimmer einer Notaufnahme sitzen muss, ist es auch mit dem Warten auf geistliche Veränderungen: Sie brauchen ihre Zeit, weil im Hintergrund vieles geschieht, was man als Wartender nicht mitbekommt.
Damit ich darüber nicht frustriert oder zu ungeduldig werde, erinnere ich mich immer wieder an eine beeindruckende Frau der Bibel: die Prophetin Hanna aus Lukas 2. Sie ist mir in vielerlei Hinsicht ein Vorbild und aus meiner Sicht eine der größten Heldenfiguren der Heiligen Schrift. Hier ist ihre Geschichte, die mich so inspirierend finde:
„Und es war eine Prophetin Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser. Diese war in ihren Tagen weit vorgerückt; sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt von ihrer Jungfrauschaft an; und sie war eine Witwe von vierundachtzig Jahren, die wich nicht vom Tempel und diente Gott Nacht und Tag mit Fasten und Flehen. Und sie trat zur selben Stunde herbei, lobte Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.“
– Lukas 2,36–38
Mehr erfahren wir nicht über Hanna – und doch steckt in diesen wenigen Versen so viel. Es beginnt mit der Aufzählung ihrer Lebensstationen: Vermutlich heiratete sie, wie damals üblich, mit etwa 14 Jahren. Nach nur sieben Jahren Ehe wurde sie Witwe – also im Alter von etwa 21. Statt erneut zu heiraten, entschied sie sich für ein Leben im Dienst Gottes: Beten, Fasten, Warten. Und das nicht für ein paar Jahre, sondern über sechs Jahrzehnte hinweg.
Lukas nennt sie Prophetin, aber wir erfahren nicht, welche Botschaften sie empfing. Doch ihre Reaktion, als sie Jesus im Tempel sah – wie sie ihr Beten unterbrach, Gott lobte und von ihm sprach zu allen, "die auf die Erlösung Jerusalems warteten" – lässt erahnen: Sie hatte eine Verheißung empfangen. Und mit dem Kommen Jesu erkannte sie deren Erfüllung.
Paulus schreibt in vielen seiner Briefe über die Bedeutung des Ausharrens und der Verfasser des Hebräerbriefs fasst dieselbe Wahrheit in Hebräer 10,36 mit den folgenden Worten zusammen:
„Denn Ausharren habt ihr nötig, damit ihr, nachdem ihr den Willen Gottes getan habt, die Verheißung empfangt.“
Hanna hat ausgeharrt. Gegen jede menschliche Vernunft beugte sie sich Gottes Willen und tat das, was sie als ihren Auftrag erkannt hatte: beten und fasten – ein Leben lang. Und sie erlebte schließlich, wie sich ihre Treue auszahlte.
Das ist auch mein Wunsch: treu zu bleiben. Selbst wenn ich manchmal frustriert bin, weil die ersehnte geistliche Erneuerung noch auf sich warten lässt. Selbst wenn es langsam vorangeht mit dem, was das Reich Gottes in meiner Stadt sichtbar machen soll.
Ich will dranbleiben. Nicht aufgeben. Weil Jesus treu ist. Und weil die Menschen, für die er gestorben ist, es wert sind.
Vielleicht magst du die Geschichte von Hanna selbst nachlesen und darüber nachdenken. Ich glaube, sie enthält auch für dich eine wertvolle Ermutigung.
Alles Liebe
Rainer
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