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Glaubensbalance

  • Autorenbild: Rainer Harter
    Rainer Harter
  • vor 4 Tagen
  • 3 Min. Lesezeit

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Nein, heute geht es nicht um den Kapitän des FC Barcelona, über den man momentan überall liest.


Vielmehr möchte ich über eines meiner großen Glaubensvorbilder schreiben: Gerhard Tersteegen, dessen Lebensführung mich seit Langem beeindruckt, fasziniert und herausfordert.






Geboren 1697 in ärmlichen Verhältnissen, wird Tersteegen mit sechs Jahren Halbwaise, als sein Vater stirbt. Seine Familie ist geprägt von reformiert-pietistischer Frömmigkeit und so kommt es, dass der Junge sich früh für geistliche Dinge interessiert.

Ein Studium bleibt ihm aus finanziellen Gründen verwehrt. Deshalb beginnt er eine Kaufmannslehre bei seinem Schwager und eröffnet anschließend sein eigenes Geschäft. Bald merkt er jedoch, dass ihn wirtschaftlicher Erfolg nicht erfüllt – sein Herz sehnte sich nach der beständigen Gegenwart Gottes.


Anfangs versucht er noch, Beruf, Gebetsleben und das Studium geistlicher Schriften unter einen Hut zu bringen, indem er tagsüber arbeitet und nachts stundenlang studiert. Diesen Ablauf kann er jedoch nicht lange aufrecht erhalten, und schließlich gibt er sein Geschäft auf, um fortan in einfachsten Verhältnissen zu leben.


Allein und nur mit dem Nötigsten ausgestattet, hat er jetzt endlich Zeit für seine Bücher. Man könnte meinen, seine Seele finde nun Ruhe und inneren Frieden. Doch das Gegenteil ist der Fall: Wie die Wüstenväter durchlebt Tersteegen heftige innere Kämpfe, in denen tiefe Niedergeschlagenheit sich mit stiller Zufriedenheit abwechseln und visionäre Momente auf radikale Zweifel folgen.


Trotz allem gibt er nicht auf, Gott zu suchen.

Seine Lebensgeschichte werde ich im nächsten Jahr detaillierter veröffentlichen; heute möchte ich eine bestimmte Besonderheit seiner Glaubensgewohnheiten hervorheben, die mir besonders am Herzen liegt.


Fünf Jahre dauert seine Suchphase, bis er eines Tages die liebende Gegenwart Gottes erlebt und dabei einen tiefen inneren Frieden findet.

Dieses Ankommen in Gott ist ihm so kostbar, dass er sich Jesus vollkommen hingeben will. In einem Akt radikaler Hingabe verfasst er ein Schreiben, in dem er seine Seele Jesus weiht – und schreibt den Text mit seinem eigenen Blut nieder:


„Meinem Jesu! Ich verschreibe mich dir, meinem einzigen Heiland und Bräutigam Christo Jesu, zu deinem völligen und ewigen Eigentum. Ich entsage von Herzen allem Recht und Macht … Von diesem Abend an sei dir mein Herz und ganze Liebe auf ewig zum schuldigen Dank ergeben und aufgeopfert! … Befehle, herrsche und regiere in mir!“

Ich führe diese Geschichte an, um damit Tersteegens radikale Hingabe zu zeigen, die sein ganzes restliches Leben prägen sollte.


Solche Hingabe an Jesus sehe ich wie eines der beiden Gewichte in den Waagschalen einer Balkenwaage an, die es braucht, um eine Balance herzustellen. Ich kenne Menschen, bei denen diese Balance nicht vorhanden ist und ich weiß, dass ich mich selbst immer wieder prüfen muss: Bin ich noch in Balance?


Tersteegen verfiel keiner Überreligiosität und verfing sich nicht in einseitigen Lehrrichtungen. Sein Gottesbild war ausgewogen, und ebenso seine Sicht auf die menschliche Sündhaftigkeit. Wie Paulus erkannte auch er: „In mir wohnt nichts Gutes.“


Dieses Wissen bremste seine Hingabe jedoch nicht – im Gegenteil: Es verstärkte sie. Er verstand, dass seine einzige Chance, Jesus ähnlicher zu werden, in der Nähe zu Jesus selbst lag. Die Erkenntnis seiner Sündhaftigkeit trieb ihn nicht weg, sondern zu ihm hin.


Er fasste dies so zusammen:


„Nicht mit uns selbst, auch nicht mit dem Guten und Bösen in uns, sondern mit Gott wollen wir uns beschäftigen. In der göttlichen Sonne sehen wir uns selbst am besten. Wer viel auf sich selbst sieht, wird entweder verzagt oder stolz. Wagen wir’s doch mit Gott und übergeben uns Ihm, ohne umzusehen, in Leben und Tod.“

Und in seinem wunderbaren Choral „Gott ist gegenwärtig“ heißt es:


„Ich in dir, du in mir, lass mich ganz verschwinden, dich nur sehn und finden.“

Ich möchte dich ermutigen, deine eigene Waage zu prüfen: Ist sie im Gleichgewicht, oder hängt eine Schale herab?


Ja, lebe in hingebungsvoller Anteilnahme an Gott, aber ohne in negative Zerknirschung zu verfallen. Ja, erfreue dich seiner unendlichen Gnade, vergiss aber nicht, dass er eine Partnerschaft wünscht, in der du deinen Teil beiträgst, Jesus ähnlicher zu werden.


Hingabe und Gnade sind wie zwei Gewichte, die unser geistliches Leben in Balance halten.


Alles Liebe. Rainer

 
 
 

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