Gottes Gegenwart
- Rainer Harter

- 11. Aug.
- 4 Min. Lesezeit

Seit fast vierzig Jahren darf ich Jesus nachfolgen – durch Höhen und Tiefen, im
strahlendsten Licht und in tiefster Dunkelheit.
Es sind Jahre, auf die ich staunend und dankbar zurückschaue. Vieles hat sich in dieser Zeit verändert, manches ist zu einem Abschluss gekommen und Neues ist geworden.
Eine Sache aber ist geblieben: die Sehnsucht nach Gottes Gegenwart.
Wie viele Bücher habe ich in den vergangenen Jahrzehnten gelesen, wie viele Vorträge über dieses Thema gehört und selbst gehalten!
All diese Informationen haben mich ermutigt und angespornt – aber selten mehr bewirkt. Ihr Effekt gleicht den Dokumentationen über Langstreckenläufer, die ich mir anschaue, um mich selbst zum Durchhalten im Training zu motivieren: Im Moment des Zuschauens wird in mir eine Energie freigesetzt, die mich positiv unruhig macht. Doch wenn ich nicht umsetze, was ich gesehen und was in mir diese Kraft geweckt hat, dann war alles Zuschauen umsonst.
Genauso ist es mit der Suche nach Gott und seiner Nähe. Es genügt nicht, Bibeltexte oder die Schriften von Menschen wie Evagrius Ponticus, Bernhard von Clairvaux, Bruder Lorenz, Gerhard Tersteegen, Graf Zinzendorf oder Frank C. Laubach zu lesen, die allesamt Gottsucher waren. Wir müssen uns selbst auf den Weg machen. Und ich bin lange genug unterwegs, um zu wissen: Dieser Weg ist schwer und kostet Kraft. Der Grund dafür liegt in einer einfachen Tatsache:
Je älter ich werde und je länger ich mit Jesus gehe, desto deutlicher erkenne ich, welche Macht unser Eigenwille hat – das, was die Bibel „Fleisch“ nennt. Manchmal meinen wir, das Fleisch in manchen Bereichen schon überwunden zu haben und an einigen Stellen ist das Gott sei Dank auch so. Doch im Licht von Gottes Gegenwart muss ich eingestehen:
Oft hat sich das Fleisch nur den Mantel der Frömmigkeit umgehängt.
Unsere Motivationen, Worte und Handlungen entsprechen zwar äußerlich dem, was die Bibel als gut und segensreich beschreibt, doch dahinter lauern nicht selten die Sucht nach Applaus, Anerkennung, Status oder ähnlichen Dingen.
Das wusste schon David, der im Psalm 26,2 betet:
Prüfe mich, HERR, und erprobe mich; läutere meine Nieren und mein Herz!
Die von Gott wegziehende Sogkraft des Fleisches erschwert es, konsequent in seiner Gegenwart zu leben. Das Fleisch will dort nicht sein, denn es weiß, das der Gott der Bibel kein himmlischer Märchenonkel ist, den man sich wie den Weihnachtsmann aus der Coca-Cola-Werbung vorstellen könnte.
Gottes grundlegendes Wesensmerkmal ist Heiligkeit – aus ihr fließen alle anderen seiner großartigen Eigenschaften.
Die Vorstellung, dass Gott Liebe ist, ist wunderschön. Doch wir werden ihm nicht gerecht, und wir werden ihm nie wirklich nahekommen, wenn wir ihn auf Liebe reduzieren. Wer Gott wirklich begegnet, trifft auf die Liebe in Person – und erkennt zugleich seine erschreckende Vollkommenheit.
Diese Vollkommenheit, die die Bibel mit Bildern wie dem „hellsten Licht“ oder dem „verzehrenden Feuer“ beschreibt, macht uns bewusst, wie unvollkommen, manchmal voller Heuchelei und Lüge, wie neidisch, eifersüchtig und schadenfroh wir unter unserem frommen Mäntelchen in Wirklichkeit sind.
Im hellen Licht Gottes bleibt keine Unreinheit verborgen. Darum haben alle biblischen Gottesbegegnungen eines gemeinsam: Der Mensch wird sich der Größe Gottes und seiner eigenen Kleinheit bewusst – und bricht zusammen. Dieses Muster sehen wir bei Mose, Daniel, Hesekiel, Petrus, den Soldaten unter dem Kreuz, Johannes in der Offenbarung und an vielen anderen Stellen.
Und doch: Genau dort – im Zentrum von Gottes Licht und Feuer, in der Gegenwart seiner heiligen Person – geschieht die Veränderung, die wir uns ersehnen. Dort wird das Fleisch entlarvt, und dort kann Heiligung geschehen. Die Gegenwart Gottes ist ein schrecklich-schöner Ort.
Ich habe lernen dürfen, in den Momenten, in denen mir im Licht Gottes bewusst wird, was in mir noch dunkel ist, nicht mit Angst oder Verdammnis zu reagieren, sondern mit Dankbarkeit. Veränderung beginnt nämlich dort, wo wir erkennen, was verändert werden muss. Zum Glück zeigt Gott mir jeweils nur einen dunklen Fleck, den er dann mit mir bearbeitet – mehr auf einmal würde ich wohl nicht verkraften.
Es gibt keinen schöneren Ort als den in Gottes Gegenwart. Wenn wir lernen, möglichst beständig in ihr zu leben, fällt so vieles ab, was uns ermüdet und beschwert. Ich habe dieses Ziel längst nicht erreicht, aber ich ringe darum – und erlebe zunehmend, wie wunderbar es ist.
Die Momente in seiner Gegenwart haben mich verändert. Meine Liebe zu ihm ist stetig gewachsen. Früher konnte ich nicht verstehen, wenn in Liedern Sätze wie „Gott allein genügt“ oder „Only You can satisfy“ vorkamen. Heute weiß ich: Das ist wahr. Vierzig Jahre sind eine lange Zeit. Zugleich kommen sie mir wie ein Augenblick vor. Ich wünschte, ich hätte Gott in dieser Zeitspanne noch intensiver gesucht. Aber ich hoffe auf ein paar weitere Jahre, in denen ich das tun darf.
Weil ich erlebt habe, dass es sich lohnt, möchte ich dich ermutigen. Überwinde dein Fleisch. Lass dich von ihm nicht aufhalten, sondern überwinde es. Wähle die Gegenwart Gottes. Tu nicht so, als ob es für Gott schon in Ordnung wäre, wie du jetzt bist, weil er dich „liebt“. Erkenne vielmehr, dass seine Liebe dich von Dunkelheit befreien und dir wahre Freiheit und Ent-Lastung schenken will, um dich letztlich Jesus ähnlicher zu machen.
Niemand kann den Weg in die Gegenwart Gottes für dich gehen, das kannst nur du.
Aber der Weg ist da und Jesus hat ihn freigeräumt. Was dich dort erwartet, ist besser als alles andere.
Alles Liebe. Rainer



Hallo Rainer,
vielen Dank dass Du mich an Deinem Weg mit Jesus teilhaben lässt.
Ich habe mich in Deinen Gedanken wiedergefunden.
Deine Gedanken sind mir eine Bestätigung und Ermutigung.
Vielen Dank.
Gruß
Andreas