Irrlehrer!?
- Rainer Harter
- 16. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Neulich wurde ich auf ein Video aufmerksam gemacht, in dem einige meiner Freunde und auch ich selbst kritisiert und als Häretiker dargestellt wurden.
Die beiden Themen, um die es in meinem Fall ging, sind nicht neu für mich. Sie gehören zu den meistumstrittenen, wenn es darum geht, mich zu beurteilen.
Ich bin jemand, der sich Kritik anhört und darüber nachdenkt, schließlich kritisiere ich selbst ja auch und wünsche mir, dass über meine kritischen Äußerungen nachgedacht wird. Grundsätzlich ist Kritik also völlig in Ordnung, nur bitte mit etwas mehr Recherche und am besten im persönlichen Austausch, bevor man ein YouTube-Video produziert – das kann man anschließend immer noch tun. Was mich bei mancher Kritik stört, ist das Herauspicken einzelner Sätze von mir oder – noch unschöner – pauschalisierende Aussagen. Das geht besser.
„Ökumene“ und „Kontemplation“ – das sind die beiden Reizthemen, für die ich kritisiert werde.
Zum Thema "Ökumene" gibt es eine Vortragsreihe von mir, in der ich beschreibe, was ich darunter verstehe, wie ich sie theologisch einordne und wie ich sie lebe. Sie ist im YouTube-Kanal vom Gebetshaus Freiburg zu finden. Zusätzlich gibt es im Shop des Gebetshauses ein kostenloses, sehr persönliches E-Book dazu.
"Ökumene": Das Wort selbst hat in manchen kirchlichen Kreisen einen negativen Klang - was teilweise berechtigte Gründe hat, teilweise aber auch auf Mutmaßungen beruht.
Doch „Ökumene“ ist keine Erfindung des Antichristen, sondern wurzelt sowohl in einem biblischem Auftrag als auch im kirchengeschichtlichem Ringen um die Einheit der Christen. Gleichzeitig ist mir bewusst, dass „Einheit um jeden Preis“ nie das Ziel sein kann, wenn dabei grundlegende Wahrheiten verwässert würden. Ich möchte daher einige Kerngedanken vorstellen, die vielleicht eine Hilfe für meine Leser sein können.
Jesu Gebet um Einheit (Joh. 17) zeigt, dass Einheit unter den Jüngern und Nachfolgern Jesu einen missionarischen Charakter hat und die Verheißung von Gottes Segen trägt: Wo Christen tiefer zusammenfinden, wird Gottes Auftrag sichtbarer und Christus offenbar. Das verstehe ich als Auftrag für alle von uns.
Nun sagen Kritiker (je nach Herkunft) zu mir:
„Wie kannst du bloß mit Katholiken, Pfingstlern, Orthodoxen, Baptisten, Frei-Evangelischen oder Evangelisch-Landeskirchlichen usw. zusammenarbeiten, wo die doch:
• Kinder taufen
• Erwachsene taufen
• an die Geistesgaben glauben
• nicht an die Geistesgaben glauben
• liberal sind
• konservativ sind
• die Bibel wörtlich nehmen
• die Bibel nicht wörtlich nehmen
• usw.?
Meine zusammenfassende Antwort lautet:
Ich kann mit jedem zusammenarbeiten und beten, der
das Glaubensbekenntnis von Nizäa–Konstantinopel beten und glauben kann,
dessen Ziel es ist, Menschen zur Vergebung der Sünden durch den stellvertretenden Opfertod Jesu und damit zur Erlösung zu führen,
der versteht, dass es „die einzig richtige“ christliche Konfession oder Denomination schlicht nicht gibt,
der versteht, dass wir Christen einen Leib darstellen, dessen Glieder – wie beim menschlichen Körper auch – recht unterschiedlich aussehen,
der die Bibel als geoffenbartes Wort Gottes anerkennt.
Neben diesen klaren Punkten gibt es auch eine Grauzone, zu der ich stehe. Ich klopfe nämlich nicht jeden Bischof, Pfarrer, Pastor oder Gemeindeleiter, mit dem ich zusammenarbeite, anhand einer Liste auf theologische Fragen ab. Würde ich das tun, könnte ich meine Bemühungen um Einheit sofort einstellen, denn ich würde immer irgendetwas finden, was ich theologisch als falsch ansehe – so wie umgekehrt wahrscheinlich auch.
Also halte ich die Spannung einerseits aus und die Kritik von gleichzeitig mehreren Seiten andererseits. Ich meine, dass ich das auf der Basis des oben erwähnten Gebets Jesu tue, der sogar sagt, er habe uns seine Herrlichkeit gegeben, „damit“ (!) wir eins seien. Das ist so eine bedeutungsvolle Aussage, dass ich sie nicht ignorieren kann und will.
Mein Gott, mein Erlöser und mein bester Freund sehnt sich demnach danach, dass wir eins werden. Er ist zugleich auch der himmlische Bräutigam, der einmal seine Braut – die Gemeinde – heiraten will. Ich möchte meinen Teil dazu beizutragen, dass seine Braut möglichst schön und nicht innerlich so zerrissen bleibt, wie sie heute vielerorts noch ist.
Obwohl ich meist eher von „Einheit“ spreche, verwende ich in bestimmten Situationen das Wort „Ökumene“ - trotz all der negativen Assoziationen, die dem Begriff oft entgegengebracht werden. „Ökumene“ ist nämlich:
…ein sinnvoller Begriff:„Ökumene“ geht zurück auf das spätlateinische oecumene, das seinerseits aus dem altgriechischen οἰκουμένη (gē) stammt, wörtlich „die bewohnte (Erde)“ (zu griech. οἰκέω/oikéō „wohnen, bewohnen“ und οἶκος/oíkos „Haus, Wohnung“). Es beschreibt also den weltweiten Leib Jesu.
…ein Begriff, der schon in den ersten Jahrhunderten der christlichen Kirche verwendet wurde. Schon in der Alten Kirche wurde es neben der politischen/raumbezogenen Bedeutung auch im Sinne der Gesamtheit der Christen verwendet, was man auch an den frühchristlichen (ökumenischen) Konzilien sieht, die Beschlüsse für die „gesamte Christenheit“ festlegten.
…ein Fachbegriff.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde es dann zu einem Fachbegriff der christlichen Theologie und Kirchenpraxis, der sich auf die Gesamtheit der Christen und Kirchen bezog. Es ging und geht darum, den Dialog zwischen christlichen Konfessionen mit dem Ziel zu fördern, Verständnis füreinander zu wecken, gemeinsame Glaubensaspekte zu klären und Zusammenarbeit (z. B. in Mission, Diakonie) zu ermöglichen.
In Freiburg haben wir mit dieser Art von Ökumene viel erreicht, und zwar immer im Blick auf unser gemeinsames Ziel: die Verkündigung des Evangeliums. Ja, es gibt Momente, in denen es mich „friert“, wenn etwa einem Leiter anderer Prägung eine theologische Aussage herausrutscht, die aus meiner biblischen Sicht „daneben“ ist. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand die Plattform einer gemeinsamen Großveranstaltung benutzte, um eine Sondermeinung lautstark zu verkünden. Das schmerzt mich, weil dadurch Verwirrung entsteht und Vorurteile bedient werden. Das muss dann geklärt werden, und wenn dies nicht möglich ist, mag ich mit den entsprechenden Personen nicht mehr zusammenarbeiten. Zum Glück geschieht das selten.
Will man diesem Schmerz aus dem Weg gehen oder hängt man dem Ausschlusskriterium der „Rechtgläubigkeit in allen Fragen“ an, kann es schnell sehr einsam um einen herum werden.
Denkt man den Gedanken der theologischen „Hundertprozentigkeit“ zu Ende, wäre die Konsequenz die Verunmöglichung christlicher Gemeinden an sich, die alle – egal welchen Namen sie tragen – eine ökumenische Bandbreite haben. Da darüber aber selten gesprochen wird, wähnt man sich einer Gruppe zugehörig, die „richtig“ und „eins“ ist. Die aber gibt es nicht. Wir sind alle auf dem Weg zur Einheit – manche mehr und bewusster, manche weniger und ohne es zu erkennen.
Ich wünsche mir für dich, dass du - gerne mehr als ich - den Wunsch Jesu nach Einheit erkennen, erfassen und leben kannst.
Alles Liebe
Rainer
PS: Um den Beitrag nicht zu lang werden zu lassen, folgt die Beschäftigung mit dem Kritikpunkt „Kontemplation“ mit dem nächsten mondayimpulse.
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