Irrlehrer !? - Teil 2
- Rainer Harter
- 23. Juni
- 4 Min. Lesezeit

Vergangene Woche habe ich darüber berichtet, dass ich in einem YouTube-Video insbesondere wegen zweier persönlicher Überzeugungen kritisiert wurde. Einer davon war „Ökumene“, der andere „Kontemplation“.
Nachdem ich mich letzte Woche mit dem ersten Kritikpunkt beschäftigt habe, möchte ich diese Woche zusammenfassend darlegen, was ich meine, wenn ich von Kontemplation spreche.
Kurz eine Begriffserklärung:
Kontemplation bedeutet wörtlich „Betrachtung“ oder „Vergegenwärtigung“ und meint im christlichen Kontext eine Form des Gebets, bei der das Ziel nicht primär das Sprechen ist, Schauen auf Gott.
Im deutschen Sprachgebrauch steht Kontemplation oft im Verdacht, esoterisch zu sein. Christlich bedeutet es aber: bewusstes Verweilen vor Gott, ausgerichtet auf sein Wort und seine Gegenwart.
Das möchte ich anhand zweier biblischer Texte beschreiben:
Das Vorbild Davids
In Psalm 27,4 schreibt David:
„Eins habe ich vom HERRN erbeten, danach trachte ich: zu wohnen im Haus des HERRN alle Tage meines Lebens, um anzuschauen die Freundlichkeit des HERRN und nachzudenken in seinem Tempel.“
David setzt hier bewusst ein einziges, zentrales Anliegen an die allererste Stelle. Das hebräische Wort אַחַת (achat), das mit „Eins“ oder „Eines“ übersetzt wird, betont: Unter all den möglichen Bitten – Rettung, Schutz, Versorgung – ordnet er sein Leben diesem einen Wunsch unter. Für ihn ist das Ziel nicht zuerst die Überwindung der Feinde, sondern die bleibende Gemeinschaft mit Gott.
Sein höchstes Gut sieht David in der Nähe Gottes. Er drückt damit eine kontemplative Haltung aus, lange vor dem Begriff der christlichen Kontemplation: Ein beständiges „Schauen“ und „Denken“ im Tempel ist für ihn Lebensausrichtung. Es verweist auf die Sehnsucht, Gott nicht nur flüchtig zu erfahren, sondern ihm Tag für Tag zu begegnen.
Es geht um ein innerliches Wahrnehmen, ein bewusstes, tiefes Erblicken der Freundlichkeit des HERRN. Unser Herz öffnet sich für Gottes Güte und Heiligkeit, nicht nur um oberflächlich Worte aufzunehmen, sondern um in die Tiefe der Begegnung vorzustoßen. Charles Spurgeon ermutigt uns treffend: „In Versammlungen, Meditation und Gebet soll das Herz im Glauben auf Gottes Schönheit ausgerichtet sein – nicht nur, um Worte zu hören, sondern um innerlich vor seinem Angesicht zu stehen.“
David ist mit seinem Anliegen ein Vorbild für mich:
Er zeigt, wie eine feste Ausrichtung auf Gott mein Leben tragen und verändern kann. Über die verändernde Kraft der Kontemplation spricht der Apostel Paulus.
Das Verständnis des Paulus
In 2. Kor. 3,18 schreibt er:
Wir alle aber schauen mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn an und werden [so] verwandelt in dasselbe Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie [es] vom Herrn, dem Geist, [geschieht].
Paulus verwendet hier den Begriff θεωροῦμεν (theōroumen), übersetzt als „anschauen“, „betrachten“, „in Augenschein nehmen“. Auch seine Wortwahl beschreibt mehr als einen kurzen Blick: Es geht um ein bewusstes, fokussiertes Schauen.
Offensichtlich kontrastiert er hier das Alte mit dem Neuen Testament. Im Alten Bund war Gottes Herrlichkeit zwar erkennbar, aber wie durch einem Schleier blieb sie begrenzt und teilweise sogar gefürchtet. Im Neuen Bund entfällt diese Barriere: Christus hat durch Tod und Auferstehung den Weg frei gemacht, sodass wir unmittelbar und frei „vor sein Angesicht treten“ können. Der Blick auf Gott ist frei.
Der faszinierendste Punkt hinsichtlich christlicher Kontemplation ist in vielen Kreisen noch unbekannt, obwohl Paulus ihn deutlich anspricht. Er ist der zweite Grund, weshalb ich christliche Kontemplation praktiziere und darüber spreche:
Nicht durch immer größere Anstrengung werden wir Jesus ähnlicher, sondern durch den bewussten Blick auf ihn. Paulus beschreibt eine fortlaufende Veränderung in das Bild Jesu (siehe auch Röm 8,29). Genau das möchte ich und genau das brauchen wir als Kirche Jesu.
Das von Paulus verwendete griechische μεταμορφοῦσθαι (metamorphousthai) deutet auf eine wahre Metamorphose hin, also eine sehr starke Umgestaltung. Wir werden weniger, Christus wir mehr in uns.
All das geschieht durch den Heiligen Geist, und nicht durch irgendwelche Techniken. Mit unserer Kontemplation öffnen wir sozusagen einfach nur einen Raum, innerhalb dessen sich das transformierende Wirken Gottes entfalten kann. Wir entscheiden uns schlicht dafür, Gott den Raum für sein Wirken an uns zu geben - durch unsere Stille und unser Schauen auf ihn.
Wie kann dieses „Anschauen“ praktisch werden?
Viele Traditionen der christlichen Spiritualität greifen die oben erwähnte Sehnsucht Davids auf. Eine Möglichkeit ist die bibelbezogene Meditation (z. B. Lectio Divina), bei der man beispielsweise einen Psalmtext wiederholt liest und dabei das Wort „anschauen“ im Bewusstsein behält. Man schaut z.B. das Bild der „Freundlichkeit des HERRN“ an und richtet das Herz darauf aus, nicht als intellektuelle Übung, sondern in Form einer Gebets-Begegnung.
Oder man versetzt sich in die Rolle einer Figur in einer biblischen Geschichte und beobachtet aufmerksam, wie man sich in dessen Situation verhalten hätte.
Oder man ist einfach still vor Gott.
Der Unterschied zur esoterisch geprägten Kontemplation:
Es geht bei der christlichen Kontemplation nicht um ein magisches Schauen, sondern um ein biblisch fundiertes Wahrnehmen: Man achtet auf Gottes Wort und Geist im Alltag.
Das Anschauen der christlichen Kontemplation ist beziehungsorientiert: Es findet in der Gemeinschaft mit dem auferstandenen Christus statt, vermittelt durch den Heiligen Geist und das Wort Gottes. Es ist kein abstraktes philosophisches Betrachten, sondern das persönliche Wahrnehmen der liebenden Gegenwart Gottes im Christus.
Esoterische Kontemplation hingegen sucht oft eine universelle, innerliche Erfahrung oder „höheres Bewusstsein“, arbeitet häufig mit Techniken zur Ich-Auflösung oder Energielenkung und stellt nicht die persönliche, trinitarische Begegnung mit dem biblischen Gott in den Mittelpunkt.
Zum Schluss empfehle ich dir die Lehrserien zum Thema der christlichen Kontemplation im YouTube-Kanal vom Gebetshaus Freiburg.
Alles Liebe, Rainer Harter
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