Ist Mission noch zeitgemäß?
- Rainer Harter

- 20. Okt.
- 3 Min. Lesezeit

Es gibt Worte Jesu, die so klar sind, dass man sie eigentlich nicht missverste-hen kann.
Über zwei Jahrtausende hindurch haben sie ihre Gültigkeit kaum verloren, und doch entgleiten sie der christlichen Kirche zunehmend. Dazu gehört der Missionsauftrag Jesu:
„Geht hin in alle Welt und macht alle Nationen zu Jüngern“ (Mt 28,19). Oder: „Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch“ (Joh 20,21).
Diese Anweisung - die ja von niemandem Geringeren als Gottes Sohn gegeben wurde - zieht sich wie ein roter Faden durch die Evangelien. Heute ist sie manchen Christen eher ein Dorn im Auge, als eine Selbstverständlichkeit des praktischen Glaubensweges zu sein. Man möchte niemandem zu nahe treten und zum eigenen Glauben überreden. Eine wachsende Zurückhaltung, ja fast schon eine Scham ist zu spüren, Menschen zum Glauben an Jesus einzuladen. Man hört Sätze wie: „Jeder muss seinen eigenen Weg finden“ oder „Wir sollten den Glauben anderer respektieren und nicht missionieren.“
Bereits 2019 stellte die renommierte Barna Group fest, dass fast die Hälfte der US-Amerikanischen Millenials, die sich selbst als Christen bezeichneten, Evangelisation als problematisch ansahen.1
In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich in den letzten Jahrzehnten zahlreiche kirchliche Institutionen vom klassischen Missionsauftrag distanziert – sei es durch formelle Beschlüsse, durch theologische Neuakzentuierung oder durch schlichte Änderung der Praxis. Insbesondere die Haltung zur Missionierung von Menschen jüdischen Glauben wird seither in manchen Kreisen vollständig abgelehnt. Hinter dieser Zurückhaltung steht oft der ehrliche Wunsch, tolerant und respektvoll zu sein, was erst einmal ehrenhaft ist. Doch diese Haltung darf nicht missverstanden werden und auch nicht dazu führen, dass dafür grundlegende Wahrheiten missachtet werden:
Jesu Auftrag ist nicht optional. Er ist kein Angebot für besonders Eifrige, sondern Ausdruck der göttlichen Liebe, die in Wort und Tat hinaus will - durch uns Christen.
Beim Evangelium handelt es sich nicht um die Frage nach kulturellen Vorlieben oder religiösen Geschmacksrichtungen – sondern um die Frage nach Wahrheit.
WENN Jesus wirklich der Sohn Gottes ist, wenn er wirklich der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, dann wäre es geradezu lieblos und widersinnig, diese Botschaft für uns zu behalten. Wenn wahr ist, was Jesus sagte, ist Mission keine Manipulation, sondern Fürsorge für andere Menschen.
Jesus selbst verwendete ein starkes Wort, als er von der Bitte um Arbeiter für die Ernte sprach. Seine Aussage deutet daraufhin, dass es trotz einer großen „Ernte“ an Menschen, die die rettende Botschaft des Evangeliums noch nicht gehört haben, zu wenige „Erntearbeiter“ geben würde, die diese Gute Nachricht auch weitergeben.
Er sagte - wörtlich übersetzt:
„Bittet den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter hinaustreibt in seine Ernte“ (Lk 10,2).
Das griechische Wort an dieser Stelle lautet ekbállō – wörtlich: „hinauswerfen“ oder „mit Nachdruck senden“. Es ist dasselbe Wort, das sonst gebraucht wird, wenn Jesus Dämonen austreibt. Das zeigt, mit welcher Dringlichkeit Gott Menschen in die Welt sendet. Es ist, als wollte er sagen: Die Liebe Gottes ist zu kraftvoll und zu bedeutsam, um in den Mauern der Kirche eingeschlossen zu bleiben. Sie drängt hinaus – zu den Verlorenen, zu denen, die hungern nach Sinn, nach Annahme, nach Wahrheit und hin zu denen, die nicht einmal wissen, dass es die Hoffnung auf Vergebung und ein neues, ewiges Leben gibt.
Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Mann, der sich selbst als „spirituell, aber nicht religiös“ bezeichnete. Wir redeten lange über Sinn, Sehnsucht und Gebet. Am Ende sagte er:
„Wenn das, was du erlebst, wirklich wahr ist, dann wäre es egoistisch, wenn du es mir nicht erzählen würdest.“
Diese ehrlichen Worte haben mich tief bewegt. Sie erinnerten mich daran, dass die Einladung zu Jesus keine Grenzüberschreitung ist, sondern ein Liebesdienst. Ich glaube: Wir haben verlernt, dass Wahrheit kein Machtmittel ist, sondern eine Einladung zur Freiheit. Wer Jesus begegnet ist, hat eine gute Nachricht – und eine gute Nachricht bleibt nicht verborgen.
In einer Welt, die immer stärker zwischen Meinungen, Ideologien und Identitäten zerrieben wird, brauchen Menschen tatsächlich nicht noch eine religiöse Option, sondern konkrete Hoffnung, Vergebung und Sinn, die sich nicht in Worten, sondern in der Person Jesus Christus finden lassen. Wer Jesus liebt, wird auch Menschen lieben – und wer Menschen liebt, wird ihnen von Jesus erzählen.
Die Spannung zwischen Sendung und Respekt löst sich nicht durch Schweigen, sondern durch Liebe. Eine Liebe, die den anderen achtet und ihm zugleich zutraut, dass er erkennen kann, ob unsere Worte wahr sind. Denn wahre Toleranz besteht nicht darin, zu schweigen, sondern in Freiheit das zu bezeugen, was uns Leben geschenkt hat und wofür es einen sicheren historischen, geschichtlichen und gesellschaftlichen Beleggrund gibt.
Möge und Gott „hinaustreiben“ aus falsch verstandener Toleranz und Bequemlichkeit, hinein in eine Welt, die seine Liebe braucht. Denn eine gute Nachricht wird erst dann wirklich gut, wenn sie weitergegeben wird.
Alles Liebe. Rainer



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