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Kann Überforderung positiv sein?

  • Autorenbild: Rainer Harter
    Rainer Harter
  • 7. Juli
  • 3 Min. Lesezeit

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Wann wächst der Mensch - innerlich, bezüglich seines Charakters und seiner sozialen Fähigkeiten?







Vermutlich sehnen sich die meisten Menschen nach Wachstum – nach persönlicher Reife, innerer Stärke, Gelassenheit und sozialer Kompetenz. Zugleich jedoch meiden wir instinktiv das Feld, auf dem solches Wachstum gedeiht. Denn es ist kein wohlgeordnetes Beet ohne Unkraut, sondern vielmehr ein wilder Acker, auf dem das Unkraut unaufhörlich versucht, die ersehnten Früchte der Reife zu ersticken. Es ist kein gepflegter Blumengarten, sondern eine raue Arena, in der man sich behaupten muss.



Wachstum geschieht selten in Zeiten der Leichtigkeit. Viel häufiger sind es Phasen der Überforderung, in denen wir an unsere Grenzen geführt werden – und darüber hinauswachsen müssen. Genau dort, wo wir eigentlich nicht hinmöchten, werden wir geformt. Damit spreche ich nicht von andauernder Überforderung, die zum Zusammenbruch führt. Aber genauso wenig halte ich den Versuch für sinnvoll, jeder Überforderung von vornherein aus dem Weg zu gehen. Das mag zwar weniger Energie, Schlaf und Freizeit kosten – aber es entsteht auch nichts Neues, und unsere Grenzen bleiben, wie sie sind.


„Überforderung“ ist ein negativ besetzter Begriff. Und doch birgt die Überforderung Schätze, die nur in ihrer Nähe gehoben werden können.

Beispielsweise zeigt sie uns, was wirklich in uns steckt, denn sie offenbart unsere Prägungen, unsere Denkweisen und unsere inneren Reaktionen genau dann, wenn unsere gewohnten Strategien nicht mehr ausreichen und wir ins Schwimmen geraten - emotional, organisatorisch, und manchmal auch geistlich.


Gerade hier liegt eine unbequeme, aber tiefe Wahrheit:


Wachstum beginnt dort, wo Kontrolle endet.

Wir wachsen, wenn wir gezwungen sind, uns neu zu orientieren, neue Faktoren in unsere Entscheidungen einzubeziehen oder ein größeres Maß an Glauben und Vertrauen aufzubringen als zuvor. Wir wachsen, wenn wir der Realität ins Auge sehen, dass wir gerade in Zeiten der Überforderung Hilfe brauchen, lernen und uns verändern müssen. Wachstum geschieht, wenn wir uns für den Kampf und gegen das Sofa entscheiden.


So wie wir in der Ruhe des kontemplativen Gebets geformt werden können, geschieht ein anderer Teil unserer Formung in den Stürmen unseres Lebens.

Beides gehört zusammen, das eine bereitet uns für das andere vor. Wer nur in der Stille bleibt, setzt die Kraft zur Veränderung nicht frei. Wir brauchen die Grenzerfahrungen der konkreten Überforderung zur Erweiterung unserer Grenzen. Unser Charakter wächst nicht in unseren Komfortzonen, sondern in den Spannungsfeldern des Lebens. Dort, wo wir über unsere Kräfte hinausgehen müssen, erfahren wir neue Fähigkeiten – und Gottes Hilfe.


Auch sozial können wir durch Überforderung wachsen. In Beziehungen zeigt sich unsere Fähigkeit zur Empathie, zur Kommunikation und zur Konfliktlösung – oder eben ihre Grenzen. Wenn wir mit anderen Menschen aneinandergeraten, erleben wir Überforderung im Miteinander. Das kann emotional höchst unangenehm sein, aber ich habe selbst aus den schwersten persönlichen Konflikten mehr gelernt als aus der Harmonie mit Gleichgesinnten.

Sich der Überlastung zu stellen, kann segensvoll sein. Dauerhaft überlastet zu sein allerdings ist zerstörerisch. Deswegen erfordert Überlastung Unterstützung, sonst drohen Erschöpfung oder Zusammenbruch. Unterstützung heißt dabei jedoch nicht automatisch, dass mir jemand die Last abnimmt. Sie kann auch bedeuten, dass mir jemand zur Seite steht und mich ermutigt, sie bis ins Ziel zu (er)tragen.


Eine produktive Überforderung fordert uns, ohne uns zu zerstören.

Sie entsteht, wenn wir herausgefordert werden, mehr zu werden als wir bisher waren. Wenn wir etwas wagen – oder wagen müssen – das größer ist als unsere gewohnte Kraft. Selbst wenn wir scheitern, kann die Überforderung uns wachsen lassen, nämlich dann, wenn wir wieder aufstehen und weitermachen.


Manche sagen: Gott überfordert uns nicht.

Das stimmt – aber nur im Sinne einer destruktiven Überforderung. Denn Gott führt uns sehr wohl in Situationen, in denen wir aus uns heraus nicht mehr weiterwissen. Das tut er unter anderem, weil er uns Wachstum schenken möchte. Dabei lässt er uns nicht alleine, sondern steht uns zur Seite und hilft uns. Aber das tut er nicht, damit alles einfach wieder leichter wird, sondern weil er uns bleibend verwandeln will.


Überforderung ist unangenehm und kaum jemand von uns jagt ihr freiwillig hinterher. Und doch stellt sie oft den Nährboden für das dar, was wir eigentlich suchen: Charakter. Reife. Tiefe. Beziehung. Vertrauen.

Nicht jede Überforderung ist gut – aber ohne Überforderung gibt es kein echtes Wachstum.

Ich wünsche dir, dass du den Unterschied zwischen destruktiver und wachstumsfördernder Überforderung erkennst und lernst, dich der zweiten mutig zu stellen. Denn dort wird das heiße Eisen deines Lebens geformt und mehr und mehr zu dem, wozu es von Gott erdacht wurde.


Alles Liebe. Rainer

 
 
 

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