top of page

Kirche – braucht das noch jemand oder kann das weg?

  • Autorenbild: Rainer Harter
    Rainer Harter
  • 6. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit

In den letzten Jahren ist ein Phänomen  immer sichtbarer geworden: Christen verlassen ihre Ortskirche oder Gemeinde. Für diese Entwicklung gibt es mittlerweile sogar einen Fachbegriff:

Von „Dechurching“ ist die Rede.

In den USA gibt es etwa 40 Millionen Amerikaner, die noch vor kurzer Zeit regelmäßig in eine Gemeinde gingen, das aber heute nicht mehr tun. Dieses Phänomen wurde von den Pastoren Jim Davis und Michael Graham als „The Great Dechurching“ bezeichnet.

Überraschend ist, dass viele dieser Amerikaner die Kirche nicht verlassen haben, weil sie ihren Glauben verloren hätten – sondern weil sich ihre Kirche nicht mehr wie ein Ort der Zugehörigkeit anfühlte. In ihrem Buch The Great Dechurching: Who’s Leaving, Why Are They Going, and What Will It Take to Bring Them Back gehen Davis und Graham den Gründen genauer nach.


Obwohl man die Entwicklungen in den  Vereinigten Staaten nicht unmittelbar auf Deutschland übertragen kann und wir im Augenblick auch von Kirchenwachstum - beispielsweise in England - hören, sieht die Situation bei uns momentan nicht sehr viel anders aus. Vermutlich kennt jeder von uns Christen mit einem lebendigen Glauben, die jedoch keiner Gemeinde mehr zugehörig sind.


Manche der Betroffenen sind leise gegangen, andere mit einem lautem Knall.

Die Gründe sind vielfältig: Frust über Strukturen, Langeweile durch Programme, Verletzungen durch Leitende oder Mitgeschwister, Enttäuschungen über nicht erfüllte Erwartungen – oder schlicht aus Bequemlichkeit, weil man bei YouTube selbst wählen kann, welchen Prediger und welche Botschaft man hören möchte und dazu nicht einmal das Haus verlassen muss.


Viele stellen sich aber auch durchaus  ehrlich die Frage: Brauche ich überhaupt noch eine Gemeinde? Reicht es nicht, einfach an Jesus zu glauben und meinen persönlichen Glauben aktiv zu leben?


Die Gegenfrage, die bei diesen Überlegungen im Raum steht, lautet: funktioniert das? Ich glaube nicht. Und zwar aus folgenden Gründen:


Bereits am Anfang der Menschheitsgeschichte sagte Gott: „Es ist nicht gut, dass der Mensch alleine sei“ (1.Mo 2,18).

Wir sind als Beziehungswesen geschaffen.


Als solche brauchen wir den Spiegel, die Reibungsfläche, den Gegensatz, die Liebe, Korrektur und Anerkennung, die uns nur ein Gegenüber geben kann. Ebenfalls brauchen wir Zugehörigkeit und die Identität, die dadurch entsteht. Ohne Zugehörigkeit vereinsamen wir und werden bald „komisch“, weil uns die Auseinandersetzungen fehlen, die zwar anstrengend sein mögen, die uns aber auch reifen lassen.


Das Neue Testament spricht von „Kirche“ mit dem griechische Wort ekklesia. Es bedeutet so viel wie  „die Herausgerufenen“. Gemeint ist damit eine lokale und zugleich weltweite Gemeinschaft von Menschen, die von Gott aus der Welt heraus berufen und zugleich in echte Gemeinschaft hinein gerufen wurden.


Paulus beschreibt die Gemeinde als den Leib Christi (1. Korinther 12). Jedes Glied, jede Hand, jeder Fuß, jedes Auge ist wichtig.

Kein Teil kann einfach sagen:

„Ich brauche die anderen nicht.“

Wer sich also bewusst aus der Gemeinschaft herauszieht, amputiert sich in gewisser Weise selbst – und schwächt zugleich den ganzen Leib, denn seine Gaben fehlen dann den anderen.


Glaube ist Beziehung – und braucht Beziehungen


Das Evangelium ist zutiefst gemeinschaftlich. Jesus hat zuerst eine Gruppe von Jüngern berufen, nicht Einzelkämpfer. Sie mussten sich miteinander auseinandersetzen. Er sandte sie mindestens zu zweit aus. Er lehrte sie, gemeinsam zu beten: „Unser Vater im Himmel…“ Schon das Vaterunser macht deutlich: Christsein ist nie nur Privatsache.


Das Christentum ist keine Philosophie für Individualisten, sondern eine Bewegung von bewegten, zueinander gehörenden Menschen, die Gott verbindet - trotz aller Unterschiedlichkeit.


Der Hebräerbrief ruft uns ausdrücklich zu:

„Verlasst eure Versammlungen nicht, wie es einige zu tun pflegen, sondern ermahnt einander“ (Hebräer 10,25).

Die gegenseitige Ermahnung, Sensibilisierung und Korrektur kann nur in Gemeinschaft stattfinden.


Warum Gemeinschaft unbequem ist – und warum das gut ist


Natürlich ist Gemeinde manchmal anstrengend. Sie besteht aus Menschen – und Menschen verletzen, enttäuschen und nerven (sighs). Gemeinschaft kostet Zeit und Kraft, fordert Verbindlichkeit, zwingt uns zur Auseinandersetzung. Aber genau darin liegt ihr Wert. Ohne Reibung kein Wachstum. Ohne Konfrontation keine Veränderung.


Wer seine Gemeinschaft verlässt, um dem Schmerz auszuweichen, verpasst oft auch die Chance auf Heilung. Wer aus Langeweile fernbleibt, übersieht, dass Kirche nicht in erster Linie Unterhaltung ist, sondern Raum für Anbetung, Erziehung im Glauben und gegenseitige Liebe. Und wer aus Bequemlichkeit fernbleibt, verkennt, dass Nachfolge immer etwas kostet.


Ein Christ ohne Gemeinschaft ist wie ein glühendes Stück Kohle, das aus dem Feuer genommen wird: Es erlischt schneller.

Wir brauchen einander – gerade in einer Zeit, in der Glaube immer mehr an den Rand gedrängt wird. Kirche ist nicht optional. Sie ist Gottes Antwort auf die Sehnsucht des Menschen nach Beziehung, Annahme, Korrektur und Wachstum.


Natürlich darf die Frage gestellt werden, was Kirche und Gemeinde eigentlich bedeutet und wo sie sich ereignet.

Vielleicht müssen wir den Rahmen gewohnter Bilder von Kirche erweitern, um die Schönheit der Gemeinschaft neu zu entdecken. Vielleicht heißt das, sich eine neue Form von Gemeinschaft zu suchen - die Gemeinde Jesu ist vielfältig. Sie ist nicht einfach Gemeinde durch Liturgie, einen Pastor, den Sonntagsgottesdienst oder Sakramente. Ihre Schönheit und ihr Leben entspringt der ehrlichen Gemeinschaft der Gläubigen, die zusammen Jesus feiern, sein Wort verstehen und ihm nachfolgen wollen - und in der Gemeinde lernen, wie das geht.


Eines bleibt klar: Ein Christsein ohne Gemeinschaft ist auf Dauer nicht gesund und auch nicht das, was Jesus sich gedacht hat.


Alles Liebe

Rainer

 
 
 

Kommentare


bottom of page