Selbst- und Eigenliebe
- Rainer Harter
- 30. Juni
- 3 Min. Lesezeit

„Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“
heißt es in Röm 13,9.
Aber was bedeutet es eigentlich, sich selbst zu lieben? Und wo ist Unterschied zwischen der positiven Selbstliebe und der um sich selbst kreisenden Eigenliebe?
Obwohl beide Worte of synonym verwendet werden, bedeuten sie doch nicht dasselbe. Die Unterscheidung kann je nach Kontext unterschiedlich stark ausfallen, je nachdem, ob man die Begriffe aus der psychologischen, philosophischen oder theologischen Perspektive betrachtet.
Grundsätzlich wird die Selbstliebe meist positiv verstanden. Sie beschreibt die gesunde, wertschätzende Beziehung zu sich selbst. Zu ihr gehören Selbstakzeptanz, Selbstfürsorge und Selbstachtung, alles Dinge, die für die psychische Gesundheit eines Menschen und seine Beziehungsfähigkeit entscheidend sind.
Eigenliebe dagegen ist eher negativ, weil damit Egozentrik oder Ichbezogenheit assoziiert wird. Sie beschreibt in dieser Hinsicht eine Überbetonung und Überhöhung des eigenen Ichs bis hin zum Narzissmus.
Während die Selbstliebe uns beziehungsfähig macht, kreist die Eigenliebe um unser Ego.
In der Bibel und in klassisch-christlicher Ethik (etwa bei Augustinus, Thomas von Aquin) wird die Eigenliebe (amor sui) deshalb oft als problematisch dargestellt, weil sie sich der Nächsten- oder Gottesliebe sogar entgegenstellen kann.
Die Selbstliebe von der Eigenliebe zu unterscheiden ist nicht immer einfach.
Manchmal tun wir Dinge vermeintlich für andere Menschen oder sogar für Gott, doch insgeheim wollen wir durch sie das Gefühl erlangen, besonders geistlich zu sein.
Katharina von Genua (1447–1510), spricht in ihren Schriften sehr deutlich und tiefgründig über die Eigenliebe. Sie geht soweit, dass sie die Eigenliebe als Grundübel beschreibt, das uns von Gott trennt.
Schlimm wird es dann, wenn unsere eigentlich aufrichtige Sehnsucht, Gott nah zu kommen und uns für ihn einzusetzen in ein Kreisen um unsere Hingabe, Demut oder unser Gebetsleben führt. Dann sind wir auf dem Weg zum Götzendienst: Wir beten zwar vermeintlich Gott an und dienen ihm, schwelgen jedoch in den religiösen Gefühlen, die wir aufgrund unserer Frömmigkeit empfinden.
Katharina schreibt:
„Die Eigenliebe ist so fein und verborgen, dass sie sich unter dem Deckmantel der Tugend versteckt.“ Sie ist also nicht immer offensichtlich, sondern versteckt sich oft. Sie muss deshalb entdeckt und entlarvt werden.
Katharina nennt ein ganz bestimmtes Heilmittel, das uns von der Eigenliebe befreien kann. Sie beschreibt es als ein Feuer und erklärt:
„Das Feuer ist nichts anderes als Gott selbst, der in brennender Liebe wirkt, um die Seele von jeder Spur der Eigenliebe zu reinigen.“
Durch das Feuer der Liebe Gottes erkennen wir, dass in uns nichts Eigenes ist, das wirklich gut ist und aus diesem Grund Anlass für egozentrische Entzückung geben könnte. Alles Gute kommt von Gott her. An diesem Punkt wird der Weg frei für die Erfahrung der Liebe Gottes, für echte Gottesliebe, für die gesunde Selbstliebe und für den reinen Gottesdienst.
Die Liebe zu Gott ist nicht sentimental nach Innen gerichtet, sondern ist radikal entäußernd. Sie dreht sich um ihn und kreist nicht um uns.
Wenn ich ehrlich bin, kann ich auch in meinem Leben Eigenliebe entdecken. Das erschreckt mich manchmal regelrecht. Ich habe mir jedoch angewöhnt, diesen Schrecken zu nutzen, um geistlich zu wachsen. Deshalb ist meine Reaktion auf solche Entdeckungen stets die Dankbarkeit Gott gegenüber. Ich danke ihm, dass er mir mehr und mehr Sensibilität schenkt und mir die Augen dafür öffnet, mich Stück um Stück mehr durchschauen zu dürfen.
Wenn dies geschieht, stehen wir an einer entscheidenden Weggabelung: Wir können verdrängen und damit unverändert bleiben, oder wir erbeten die „Erlösung vom Bösen“ in uns und die Reinigung durch das Feuer der Liebe Gottes. Gott ist derjenige, der uns heilen kann und will.
Ich wünsche dir ein feines Gespür dafür, zu erkennen ob und wo dein Gottesdienst letztlich Dienst an dir selbst ist und wo deine frommen Emotionen daher rühren, dass du dich selbst für deine Frömmigkeit belohnst.
Erschrick nicht zu sehr, wenn der Heilige Geist dir in diesem Bereich Einsicht schenkt. Sei dankbar dafür. Denn die Entdeckung der Eigenliebe ist kein Rückschlag, sondern ein Zeichen der Gnade Gottes. Sie zeigt, dass du auf dem Weg der Heiligung bist – dem Weg, der dich näher zu Gott führt und dich Jesus ähnlicher werden lässt.
Alles Liebe. Rainer
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