top of page

Wie stark wird unser Glaube von unserer Kultur beeinflusst?


Auf meinen Vortragsreisen spreche ich mit vielen interessanten Menschen. Oft geht es in den Gespräche um den christlichen Glauben, und immer wieder sind diese Unterhaltungen inspirierend. Doch manchmal bringen mich die Erzählungen und Argumente meiner Gesprächspartner auch zum kritischen Nachdenken. Dabei frage ich mich beispielsweise, wie stark das, was mir mein Gegenüber erzählt, von der Kultur geprägt ist, die ihn umgibt und deshalb nicht einfach verallgemeinert werden kann - was leider häufig geschieht.


Das wirft die generelle Frage auf, inwieweit wir die theologischen Schlüsse, die wir aus unseren individuellen Erlebnissen ziehen, auf andere übertragen können. Was davon ist denn allgemein gültig und was nicht?


Wenn mir ein Gesprächspartner erklärt, dass sein Wohlstand, seine Gesundheit und sein beruflicher Erfolg die direkte Folge des Segens Gottes seien, denke ich an Christen in Ländern, die wegen ihres Glaubens Armut oder Unterdrückung ausgesetzt sind.


Wenn mir jemand von seiner Überzeugung erzählt, dass Gott es liebt, auch unsere materiellen Wünsche zu erfüllen, fallen mir unweigerlich die Glaubensgeschwister ein, die für das tägliche Brot und genügend Trinkwasser beten, um ihre Familie ernähren zu können.


Diese Spannung darf aus meiner Sicht nicht ignoriert werden, sondern sollte zumindest zu einer Reflexion der individuellen Glaubenssätze und auch zur Fürsorge für andere führen.


Zweifellos können materielle Dinge eine Form des Segens sein, wie zahlreiche biblische Beispiele zeigen: Gott ist gut und gibt gern. Dennoch existieren extreme Unterschiede, die Fragen aufwerfen: etwa die, zwischen einem Christen in Deutschland und einem, der in Nigeria unter Verfolgung leidet. Angesichts von Folter und Mord an Glaubensgeschwistern in Ländern wie Afghanistan und Syrien kann ich nicht anders, als zu fragen, ob unsere materiellen Wünsche an Gott von tiefem Vertrauen zeugen, oder ob sie nicht eher aufzeigen, wie sehr wir uns einer Kultur angepasst haben, in der Besitz als Glücksbringer propagiert wird.

Ist uns bewusst , wie stark unser Gottesbild von unserem Weltbild und den Angeboten unserer Gesellschaft geprägt ist?


Wer von den beiden oben erwähnten Gruppen betet „richtig“? Wenn die Antwort „beide“ lautet, dann taucht unweigerlich eine nächste interessante Frage auf, nämlich, ob Gott sich in unterschiedlichen Kulturkreisen unterschiedlich verhält und wenn ja: warum?


Ohne Zweifel sind wir deutschen Christen sehr privilegiert. Wir führen ein frommes Luxusleben: Wir haben die Zeit und die Bildung, uns medial intensiv mit theologischen Inhalten auseinanderzusetzen. Wir verfügen über die Mittel, um geistliche Bücher, Filme, Apps und Software zu erwerben.


Und doch ist die Kirche in ihrer Gesamtheit in unseren Breiten schwach. Manchmal denke ich, dass vieles von dem, was wir als Gebetserhörungen oder göttlichen Segen deuten, schlicht auf die Möglichkeiten zurückzuführen ist, die uns unsere Kultur und Gesellschaft bieten. Vielleicht lassen wir uns von einer angenehmen Frömmigkeit einlullen, die wohltuend ist, aber kaum etwas kostet. Dann gehören wir allerdings zu denen, die „mehr das Vergnügen lieben als Gott, die eine Form der Gottseligkeit haben, deren Kraft aber verleugnen“, wie Paulus schrieb. (2.Tim.3,5)


Ich möchte nicht, dass unser Glaube zu einer weichgespülten westlichen Frömmigkeit wird, in der wir uns in trauter Selbstzufriedenheit wiegen.


Deshalb stelle ich mir die oben genannten Fragen. Sie sind unbequem, aber notwendig. Sie stechen zu, wenn ich in Gefahr bin, es mir in einer frommen Blase gemütlich zu machen. Sie stellen mich infrage. Ich habe nicht auf alle von ihnen eine Antwort, aber ihre Existenz erkebe ich als hilfreich.


Alles Liebe. Rainer

 
 
 

Comments


bottom of page